„Soundscapes“: Landschaft im Ohr

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Wie klingt eigentlich Ihr Zuhause?
Oder Ihre Kindheit?

Vielleicht wie: das Knarzen der obersten Treppenstufe, eine nahe Kirchenglocke, Nachbars Hundegebell, die quietschende Balkontür? Jedes dieser Geräusche mag für sich völlig unbedeutend sein –  in der Kombination jedoch sind sie so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck.

Erinnerungen haben oft eine starke lautliche Identität: Ein Sommertag 1973 klingt rückblickend vielleicht nach aus Bürofenstern klappernden Schreibmaschinen; ein Samstagmittag 1989 nach einer der letzten Sirenen des Luftschutzalarms.

Viel mehr als visuelle Reize prägen sich nämlich akustische Eindrücke ein, die im Alltag oft nebensächlich scheinen, aber tatsächlich direkt ins Unterbewusstsein vordringen. In den oben angeführten Beispielen handelt es sich ja auch nur deshalb um Charakteristika der jeweiligen Zeit, weil es diese Geräusche heute nicht mehr gibt. Ansonsten wären sie längst als Nebensächlichkeit vergessen oder – wahrscheinlicher –  ihre Existenz überhaupt nie bemerkt worden.

Die prägende Wirkung von Alltagsgeräuschen findet sich allerdings nicht nur im kleinen und individuellen Raum; das Prinzip wird mittlerweile auch gern auf Städte übertragen: Wie klingt Berlin am Prenzlauer Berg? Was hört man in einer Dortmunder Pommesbude? Wie klingt Prag abseits der Touristenströme? Über diesen Ansatz bekommt man einen ganz anderen, oft viel deutlicheren „Blick“ auf eine Gegend: Hört man sich die Soundaufnahmen eines Platzes an und vernimmt heitere Unterhaltungen, das Rauschen von Bäumen und Kinderlachen bekommt man sicher eine andere Motivation, diesen Ort auch mal zu besuchen als wenn man kläffende Hunde und das Grölen von Betrunkenen hört.

Aus vielen einzelnen Klängen entsteht eben immer eine vollständige Geräuschkulisse – übrigens ein sehr treffendes Wort, um auszudrücken, wie aus Details ein Gesamtbild, eine komplette Klanglandschaft entsteht. Soundscape – eine Wortschöpfung, die sich aus den englischen Wörtern „Sound“ und „Landscape“ zusammensetzt (also die 1:1-Übersetzung von Klanglandschaft ist) bezeichnet eine erlebbare Klangumwelt, die jeden beliebigen Raum auszeichnet. Der Begriff stammt von dem kanadischen Professor und Komponisten Raymond Murray Schafer, der sich bereits in den sechziger Jahren mit der akustischen Umwelt beschäftigte und dabei festgestellt hat, dass ihre hörbaren Merkmale hochgradig ort- und zeitspezifisch sind.

Heute gehen immer mehr Projekte diesem Ansatz nach; ein beeindruckendes Beispiel ist das Museum Auditorium Mundi, das ein weltweites Klangarchiv zur Verfügung stellt und dessen Aufnahmen auch online zugänglich sind. Die Grundidee besteht einerseits darin, die lautliche Vielfalt des Planeten zu bewahren, andererseits in dem wissenschaftlichen Interesse an der auditiven Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt. Viele Menschen sind schließlich nicht nur umgeben von Naturklängen, sondern zunehmend auch von Geräuschen, die sie selbst erschaffen, die seine Kultur auszeichnen.
Das Projekt bezeichnet seine Aufgabe als „Erforschung und Darstellung von Klängen und Klanglandschaften auf der ganzen Welt“, lädt aber auch generell dazu ein, dem Hören mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Für die eigene „Soundscape-Erfahrung“ heißt das: Mal bewusst hinhören, welche Klänge eigentlich das persönliche Umfeld ausmachen – umso interessanter ist danach der Vergleich im Auditorium Mundi, wie sich für Menschen am anderen Ende der Welt Heimat anhört.

Eine lokale Variante, sozusagen ein „Auditorium Regionalis“, bietet der Emscherplayer für das Ruhrgebiet. Dabei handelt es sich um eine Medienplattform der Emschergenossenschaft, die nicht nur mit Fotos, sondern auch mit Audioaufnahmen das Hier und Jetzt im Revier dokumentiert. Das Studio b arbeitet aktiv an diesem Projekt mit und sammelt Geräuschkulissen, die an scheinbar unbedeutenden Orten zu hören sind, bald aber durch den Strukturwandel an der Emscher unwiderruflich verloren gehen werden.

Über eine längere Zeit hinweg gesammelt, bewahrt und archiviert der Emscherplayer also nicht nur Erinnerungen in ihrer akustischen Dimension, sondern verdeutlicht auch, wie Wandel konkret und vor Ort aussieht. Vielleicht kann man also 2012 schon Cafégeräusche und Wasserplätschern hören, wo 2009 noch eine latente Bedrohlichkeit in der Geräuschkulisse lag.